Praxisbeispiel | Sag Nein – Suchtpräventionsprogramm an Förderschulen für geistige Entwicklung

Sag Nein – Suchtpräventionsprogramm an Förderschulen für geistige Entwicklung

Sag nein!

Zur Suchtprävention in Schulen gibt es eine Vielzahl an Angeboten und Programmen. Angebote für Schülerinnen und Schüler von Förderschulen für geistige Entwicklung demgegenüber gibt es kaum bis gar nicht. Klar ist, dass sich etablierte und auch erfolgreich evaluierte Suchtpräventionsprogramme für Schulen nicht eins zu eins auf die Zielgruppe der jungen Menschen mit geistiger Behinderung übertragen lassen.

Diese Lücke will „Sag Nein!“ schließen. „Sag Nein! – das Suchtpräventionsprogramm an Förderschulen für geistige Entwicklung“ versteht sich als ein Schritt hin zu einer engeren Kooperation der Sucht- und der Behindertenhilfe.  Für eine wirksame Prävention bei jungen Menschen mit geistiger Behinderung werden das Fachwissen und das methodische Vorgehen aus beiden Hilfesystemen benötigt. Dabei muss die Bereitschaft bestehen, voneinander und miteinander zu lernen (LWL 2017, S.11).

Die LWL-KS das Programm in Kooperation mit dem LVR-HPH-Netz Ost (Verbund Heilpädagogischer Hilfen), der Koordinationsstelle Sucht des LVR, der Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit geistiger Behinderung (KoKoBe), der „Suchthilfe direkt“, Essen, dem IFD-Büro des Deutschen Roten Kreuzes Borken, der Johannesschule des Wittekindshofes, Gronau und der Schule am Hellweg in Essen entwickelt und erprobt.

Bei der Entwicklung und Erprobung des Programms wurden insbesondere die praktischen Erfahrungen zum Lernverhalten der SuS berücksichtig, so dass die Interventionen in lebensnahen Situation stattfinden, sich an der konkreten Lebenssituation der Lernenden orientieren, handlungs- und erfahrungsorientiert stattfinden sowie Hilfen für den Transfer in ähnliche Alltagssituationen ermöglichen. Sie ermöglichen also individuelles Lernen, in eigenem Tempo des Lernenden sowie der eigenen Motivation und der individuellen Gedächtnisleistung. Dazu zählt ein offener Umgang mit Pausen, Wiederholungen und eine quantitative und qualitative Wahl des Lernstoffs.

 „Sag Nein!“ ist ein frühinterventives und selektives Suchtpräventionsprogramm für SuS mit geistiger Behinderung zwischen 13 und 18 Jahren (Mittel- und Oberstufe).

Das Programm hat fünf konkrete Ziele:

  • Vermittlung von Wissen über die Substanzen Alkohol, Nikotin und Cannabis.
  • Kennenlernen von Handlungsalternativen, um das Wohlgefühl herzustellen, dass sie sich von den Substanzen erhoffen.
  • Stärkung der Persönlichkeit und Unterstützung dabei, „Nein“ zu sagen – und zwar ohne Angst davor zu haben, ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden.
  • Selbstwahrnehmung und Genussfähigkeit stärken.
  • Fähigkeit der Teilnehmenden stärken, das eigene Tun zu verstehen und eigene Ziele zu formulieren.

Als Maßnahme der selektiven Prävention richtet sich „Sag Nein“ an SuS, die bereits erste Konsumerfahrungen von legalen und/oder illegalen Rauschmitteln haben. Ebenfalls können auch SuS teilnehmen, von denen bekannt ist, dass der Konsum bzw. Missbrauch von Rauschmitteln im Elternhaus ein Thema ist. Die Gruppengröße sollte maximal acht SuS umfassen, es empfiehlt sich auf gemischtgeschlechtliche Gruppen Wert zu legen, um verschiedene Perspektiven und Themen besprechen zu können.

„Sag Nein!“ hat drei aufeinanderfolgende Bausteine:

1. fünf-tägige Präventionswoche (Mo–Fr),

2. eintägiger Projekttag ca. vier Wochen später,

3. eintägige Wiederholungseinheit nach ca. drei Monaten.

Jeder Tag der Präventionswoche besteht aus jeweils drei Einheiten mit einer Länge von je längstens 60 Minuten. Die Länge der Einheiten sowie die Pausenregelung müssen sich dabei i.d.R. an den üblichen Abläufen im Schullalltag orientieren. Vormittags finden zwei Einheiten statt, die dritte Einheit wird am Nachmittag nach der Mittagspause durchgeführt. In den Vormittagseinheiten wird der Gruppe auf spielerische Art Wissen zu den Themen vermittelt. Die Nachmittagseinheit lädt zu Ruhe, Entspannung und Genuss ein. Berücksichtigt werden müssen dabei natürlich die besonderen Rahmenbedingungen vor Ort. Letztlich ist es den Lehr- und Fachkräften vorbehalten, die Aufnahmefähigkeit der Schülerinnen und Schüler einzuschätzen und darauf angemessen zu reagieren.

Der immer wiederkehrende Ablauf sollte durch weitere Rituale, z.B. ein gemeinsames Frühstück, eine Feedback-Runde oder ähnliches zum Abschluss des Tages, unterstützt werden. Die Erfahrungen zeigen, dass dies den Jugendlichen Sicherheit vermittelt und sich positiv auf die Durchführung auswirkt.

„Sag Nein! kann als Teil eines Gesamtgesundheitskonzeptes in Förderschulen für geistige Entwicklung verstanden werden. Als regelmäßiges Angebot, z.B. einmal im Schuljahr, vermittelt es zudem Handlungssicherheit der Lehrkräfte  zum Umgang mit möglichen suchtbezogenen Fragestellungen. 

Evaluation

Zu Beginn wurde das Programm den beiden an der Entwicklung beteiligten „Pilotschulen“ in Gronau und Essen erprobt. Mit den dortigen Praxiserfahrungen wurde das Programm überarbeitet und eine zweite Praxisphase schloss sich an. Darüber hinaus gibt es das Bestreben der LWL-KS das Programm extern evaluieren zu lassen. Bislang deuten die Praxiserfahrungen und die Rückmeldungen im Rahmen einer Selbstevaluation bereits auf einen hohen Praxisnutzen hin.

Rückmeldungen aus Förderschulen, die „Sag Nein!“ in ihr regelmäßiges Angebot übernommen haben, berichten von subjektiv wahrgenommen positiven Verhaltensänderungen bei den Schülerinnen und Schülern und einem Wissenszuwachs. Anscheinend bleiben besonders Inhalte aus vertiefenden Gesprächen, den Schülerinnen und Schülern auch Wochen später noch präsent.      

Aus Gründen der Qualitätssicherheit wird die Implementierung von „Sag Nein!“ im Rahmen eines Zertifikatskurses (16 UStd.) vermittelt. Die Teilnehmenden erhalten dabei auch das umfangreiche Praxis-Handbuch. Informationen zu dem Zertifikatskurs sind auf der Website der LWL-KS zu finden (www.lwl-ks.de).

Darüber hinaus müssen Personalressourcen für die Durchführung zur Verfügung stehen. (Förderschule:  Lehrkraft bzw. Schulsozialarbeit und / oder Suchtberatungsstelle: Präventionsfachkraft)

 

Markus Wirtz und Frank Schulte-Derne

LWL-Koordinationsstelle Sucht (LWL-KS)

Schwelingstr. 11

Telefon: 0251 591 4837 (Markus Wirtz) / 0251 591 4710 (Frank Schulte-Derne)

Telefax: 0251 591 714837 (Markus Wirtz) / 0251 591 714710

E-Mail: Markus.wirtz@lwl.org / Frank.Schulte-Derne@lwl.org

„Sag Nein!“ ist ein klassenübergreifendes Gruppenangebot im Bereich der selektiven Suchtprävention, entwickelt für SuS von Förderschulen für geistige Entwicklung. Nach wie vor gibt es neben „Sag Nein!“ für diese Zielgruppe keine vergleichbaren Angebote mit demselben niedrigschwelligen Anspruch an die praktische Umsetzung. Das Konzept wurde partizipativ entwickelt und berücksichtigt die langjährige Erfahrung von Fachkräften der Behindertenhilfe. 

Bundesland
Nordrhein-Westfalen
Laufzeit
12.2018
Stand der Informationen
20.4.2023