Praxisbeispiel | Säuglinge und Kleinkinder in der Kurzzeitunterbringung - ein familienintegratives Angebot, Kinder- und Jugendhilfeverbund Berlin-Brandenburg/KJSH-Stiftung

Säuglinge und Kleinkinder in der Kurzzeitunterbringung - ein familienintegratives Angebot, Kinder- und Jugendhilfeverbund Berlin-Brandenburg/KJSH-Stiftung

bild_5_kurzzeitunterbringung.jpg

Ausgangspunkt für die Konzeption der Einrichtung bilden akute Krisensituationen, in denen der Schutz der Kinder über ambulante Hilfen nicht mehr gewährleistet werden kann. In solchen Situationen setzt die Entscheidung über eine Inobhutnahme eine differenzierte Klärung der Gesamtsituation voraus, für die in der Regel kaum ausreichend Zeit vorhanden ist. Zugleich können solche Krisen ein Zusammenleben der Familie temporär verhindern, der Handlungsdruck in dieser Situation darf aber nicht zu einer endgültigen Entscheidung und entsprechenden Schritten führen, die später nur schwer rückgängig gemacht werden können. Im Mittelpunkt muss immer das Wohl des Kindes und damit immer auch die Vermeidung weiterer (Re)Traumatisierungen durch wiederholte Beziehungsabbrüche im Kontext von Inobhutnahmen und Rückführungen stehen.

Voraussetzung für die Aufnahme in der Einrichtung ist eine  erkennbare  Bereitschaft  aufseiten  der  Sorgeberechtigten, die  vorliegende Situation  zu  bearbeiten und  die  bestehenden  Beziehungen  untereinander  neu  zu  gestalten. Das Vorliegen aktivierbarer Ressourcen, die der individuellen Entwicklung des Kindes förderlich sind und zur Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern beitragen, wie etwa tragfähige  Beziehungen  der  Eltern  und  Kinder  zu  weiteren  Familienmitgliedern, bildet  eine  weitere Säule auf der die Arbeit in der Einrichtung nach § 34 SGB VIII aufbaut. Dabei ist Aufnahmehürde  deutlich  niedrigschwelliger  als  das  bei  einer  Mutter-Vater-Kind-Unterbringung  der  Fall  ist.  Die  Eltern bleiben in  maximaler  Verantwortung für  das  Kind  und die fachliche Arbeit orientiert sich - soweit möglich - an der Lebenswelt und dem bestehenden Wertesystem der Eltern.

Die  individuelle  Gestaltung der  Zusammenarbeit  wird  zu  Beginn  der  Hilfe  von  Eltern,  Jugendamt und Einrichtung im Hilfeplan festgelegt. Darüber hinaus und in Fortführung des Hilfeplans erstellen die Fachkräfte mit den Eltern ebenfalls gleich zu Beginn der Hilfe eine Kooperationsvereinbarung – hierüber wird die Umsetzung der Aufträge aus dem Hilfeplan wöchentlich besprochen und ggf. konkretisierend angepasst. Über das gemeinsame Leben mit weiteren  Familien in  der  Einrichtung können  die  Eltern  auch  wechselseitig  voneinander  lernen; die  Fachkräfte  unterstützen  und  leiten  diese  Prozesse  über  reflektierende  Gespräche. Dabei  steht  der  Schutz  der  Kinder  immer  im  Vordergrund  der  Arbeit. Kann  dieser  nicht  gewährleistet werden, können die Eltern ihren Gaststatus verlieren. Unter der Voraussetzung der Zustimmung der am Hilfeprozess Beteiligten können  die Kinder so lange in der Einrichtung verbleiben, bis eine passende Lösung für die weitere Hilfe gefunden ist.  Auch in einem solchen Fall bleibt aber der Anspruch an eine intensive Kooperation mit der Herkunftsfamilie bestehen– neue Formen der Zusammenarbeit müssen dann gefunden werden. So kann bspw. eine weitere wichtige Bezugsperson des Kindes in der Einrichtung aufgenommen werden oder die Eltern an der Tagesstruktur der Einrichtung teilhaben, sofern dies als förderlich für das Kindeswohl eingeschätzt wird. Ist eine Trennung des Kindes von seiner Herkunftsfamilie unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls unausweichlich, wird ein gemeinsam mit den Eltern gestalteter bestmöglicher Übergang für das Kind in die weiterführende Hilfe angestrebt.

Finanzierung: § 27 iVm § 34 SGB VIII

Evaluation:

Eine hausinterne  Evaluationvon  32  vom  Träger  ausgesprochenen  Empfehlungen  für  die Zukunft der Familien (32 Familien mit insgesamt 52 Kindern) hat gezeigt, dass nur in 6 Hilfeverläufen eine Trennung von Kind und Eltern notwendig wurde und von diesen 6 lediglich in einem Fall keine Begleitung des Übergangs in eine Folgeeinrichtung erfolgen konnte, sondern  eine  Inobhutnahme  durch  das  Jugendamt  notwendig  wurde.  In  allen  anderen  Fällen konnten individuelle Lösungen zur weiteren Unterstützung der Familien gefunden werden, in 2 Hilfeverläufen konnten die Familien sogar soweit von ihrem familiären Netzwerk profitieren, dass keine weiteren HzE-Maßnahmen erforderlich waren. Aus Trägersicht stellt der elternaktivierende  und  familienintegrative  Ansatz ein erfolgsversprechendes  Modell dar, um plötzliche Beziehungsabbrüche und längere Trennungen der Kinder von ihren primären Bezugspersonen zu verhindern.

Frederik Näher, Geschäftsführer 
Kinder- und Jugendhilfeverbund (KJHV) Berlin-Brandenburg/KJSH Stiftung (Stiftung für Kinder-, Jugend- und Soziale Hilfen), Mitte, Berlin 
Käthe-Niederkirchner-Str. 26 
10407 Berlin 
Telefon: 030/ 613907-26 
Fax: 030 / 4985579396 
E-Mail: f.naeher@kjhv.de

In Heft 9/2020 der Zeitschrift Das Jugendamt ist die Einrichtung von Frau Anneke Rieper vorgestellt worden.
In Heft 3/2020 der Zeitschrift Dialog Erziehungshilfe ist die Einrichtung im Kontext eines Tagungsberichts zum 15. Expertengespräch des Dialogforums "Bund trifft kommunale Praxis" vorgestellt worden.

Der familienintegrative und elternaktivierende Ansatz der Einrichtung kann in vielen Fällen die drohende Trennung von Kindern und Eltern vermeiden. Selbst wenn längerfristig eine Rückführung der Kinder nicht möglich wird, bildet er eine entscheidende Grundlage für den Erfolg anderer, weiterführender Hilfen.

Region
Berlin, Brandenburg
Bundesland
Berlin, Brandenburg
Laufzeit
11.12.2020
Stand der Informationen
6.4.2023