Qualifizierte Schulbegleitung beim Träger QuerWege e.V. in Jena
Ausgangssituation und Zielstellung
Die Zahl der Schulbegleitungen steigt, nicht nur in Jena. Dabei ist das Konstrukt in seiner Umsetzung bislang wenig nachhaltig. Darüber hinaus haben sich die Unterstützungsbedarfe verändert. Es werden mehr Schüler*innen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe begleitet mit Auffälligkeiten im Verhalten oder mit Traumatisierungen. Die Personalsituation in den Schulen hat sich gleichzeitig verschlechtert und die Rolle der Eingliederungshilfen musste sich zwangsläufig verändern. Sonderpädagog*innen, die Integrationshilfen Anweisungen geben und sie fachlich begleiten, sind nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden. Darüber hinaus ist die Zahl der Hilfen so stark gestiegen, dass eine fachliche Auseinandersetzung notwendigerweise geführt werden musste und auch noch geführt werden muss.
Es ist anzuerkennen, dass Schulbegleiter*innen pädagogisch tätig sind und eine Verantwortung für die individuelle Assistenz auf der einen und im sozialen Gefüge der Schüler*innengemeinschaft auf der anderen Seite haben.
Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, braucht es nicht nur guten Willen und persönliche Eignung. Es braucht das Verständnis eines Assistenzanspruches, der sich mit dem Recht der Förderung und Entwicklung nach §1 SGB VIII verbindet. Es braucht Wissen bezüglich unterschiedlicher Unterstützungsbedarfe, vom Trauma bis zur medizinischen Hilfstätigkeit sowie Kommunikationskompetenz im Netzwerk unterschiedlichster Akteure. Insbesondere die Arbeit mit Schüler*innen mit multiplen Problemlagen und schwierigen familiären Voraussetzungen braucht Sensibilität und Fachwissen, um Zusammenhänge erkennen, einordnen und professionell mit den richtigen Stellen beraten und bearbeiten zu können. Schule hat sich weiter entwickelt und ist zu einem Tätigkeitsort der Jugendhilfe geworden, durch die Schulbegleitung nach §35a SGB VIII über die Schulsozialarbeit hinaus. Dies ist zwar in den Köpfen aller Träger, Leistungserbringer und Schulen noch nicht angekommen, aber es ist in der Praxis vielerorts die Realität. Somit steigt der Bedarf an geeigneten Strategien, um multiprofessionelle Zusammenarbeit zu gestalten und zu pflegen. Und nicht zuletzt erfordert das tägliche enge Gebundensein mit den Schüler*innen, die Auseinandersetzung mit und Intervention bei Traumata, Barrieren, unberechenbaren oder belastenden Verhaltensweisen (letzteres sowohl von den begleiteten Schüler*innen ausgehend als auch auf sie hinwirkend) einen reflektierten Umgang mit der eigenen Belastbarkeit, mit Grenzen und Selbstsorge.
Qualität braucht Vernetzung
Seit 2006 ist QuerWege e.V. Träger für Schulbegleitung. 2009 erforderte die Zunahme der Hilfen eine Strukturierung und fachliche Begleitung, aus der heraus bedarfsorientiert und im Austausch mit den aktiven Kolleg*innen das Tätigkeitsfeld entwickelt werden konnte - trägerintern wie auch nach außen wirkend.
Partner*innen fanden wir insbesondere bezüglich der Finanzierung von Supervisionen und Fortbildungen im Fachdienst Jugendhilfe der Stadt Jena. Inhaltlich haben wir gemeinsam eine standardisierte Leistungsbeschreibung und eine einheitliche Aufgabenbeschreibung für Schulbegleiter*innen in Jena entwickelt, die für die hier ansässigen Träger der Schulbegleitung Grundlage der Leistungserbringung sein sollten. Wir bauten ein Netzwerk mit Referent*innen und Supervisor*innen auf und entwickelten währenddessen selbst die Kompetenz zur Beratung und Qualifizierung von Schulbegleiter*innen. Zwei Curricula zur Qualifizierung von Schulbegleiter*innen in Thüringen sind unter unserer Mitwirkung entstanden und durchgeführt worden (gemeinsam mit Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement, Erfurt 2009-2012 und der Paritätische Akademie Thüringen, seit 2015).
Entwicklung eines qualifizierten Angebotes in der Schulbegleitung
Ineinandergreifende Maßnahmen von Leistungsträger und Träger:
- Gründung eines eigenen Fachbereiches im Trägerverein QuerWege (2008)
- Gründung des „Integrationsdienstes“ als Fachbereich im Fachdienst Jugendhilfe in Jena (2011) und damit die
- Einführung von Hilfeplanverfahren für alle begleiteten Schüler*innen (SGB VIII und SGB XII)
- Gemeinsame Entwicklung von für die Kommune gültigen Standards und einer Aufgabenbeschreibung
- Gruppenbegleitung/Pooling seit 2010
Trägerverantwortete Impulse und Entwicklungen:
- lerngruppenbezogene Schulbegleitung (Integration ist nur möglich, wenn der Schulbegleiter im Lerngruppengefüge agieren kann, als Erwachsener sei besser dazu gesagt)
- Initiierung eines Curriculum zur Qualifizierung von Schulbegleiter*innen
- Einsatz von Fachkräften aus therapeutischen und pädagogischen Berufen
- Qualifizierungsangebote für Quereinsteiger*innen
- kontinuierliche Weiterbildungsangebote für alle Eingliederungshelfer*innen
- externe Supervision (obligatorisch mehrmals für alle Schulbegleiter*innen)
- Einführung der Methode der kollegialen Fallberatung zur eigenverantwortlichen teaminternen Beratung
- Entwicklung der Kostensätze (gute Bezahlung, Fortbildung, Supervision usw.) mit dem Leistungsträger
- multiprofessionelles Leitungsteam, welches die fachliche Begleitung im Alltag sicherstellt
- Initiierung eines Modellprojektes mit Budget für Schulbegleitung zur Weiterentwicklung der mutliprofessionellen Zusammenarbeit in Schule.
Finanzierung
Die Refinanzierung aller Maßnahmen erfolgt durch die Abrechnung der geleisteten Fachleistungsstunden. Die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Standards sind darin berücksichtigt. An zwei Schulen existiert ein Budget für schulische Eingliederungshilfe.
Wie muss es weitergehen?
Eine Herausforderung ist die (Weiter)entwicklung multiprofessioneller Zusammenarbeit in den Schulen. Es braucht Formate der Beratung und des Ineinanderwirkens von Kompetenzen und Perspektiven auf Augenhöhe.
Dies könnte dazu führen, dass die Inanspruchnahme von Eingliederungshilfe nicht mehr mit Stigmatisierung verbunden und Inklusion zu einer von allen in Schule tätigen Professionen gemeinsam zu bewältigenden Aufgabe wird.
Dazu benötigen wir eine Auflösung des versäulten Zuständigkeitsdenkens für Inklusion in den Verwaltungen wie auch in der Praxis. Schule muss die Öffnung nicht nur für unterstützende Kräfte, sondern auch in der Erweiterung des Selbstbildes von der alleingestellten Fachkompetenz im Bildungssystem schaffen. Und Schulbegleitung muss sich zu einer professionalisierten Akteurin entwickeln, die Dialog, Zusammenarbeit und Inklusion eigenverantwortlich und fachlich fundiert mitgestalten kann.
Querwege e.V. Jena
Anne-Katrin Thierschmidt
Leiterin Individuelle Hilfen, Beraterin für Inklusive Prozesse, Vorstand
Mathilde-Vaerting-Str. 7, 07743 Jena
a.thierschmidt@querwege.de
Text: A. Thierschmidt 2020. Bei Verweis auf das Projekt oder Textteile bitte als Autorin/Quelle angeben!
www.querwege.de
inklusionskongress.de/e-tagungsband/
Thierschmidt, A. (2019). Qualifizierte Schulbegleitung als Aufgabe sozialer Träger. In A. Sasse, B. Kracke, S. Czempiel, & S. Sommer (Hrsg.), Schulische Inklusion in der Kommune (S. 223-229). Münster: Waxmann
Das Vorgehen ist ein Beitrag zu einer dringend notwendigen Professionalisierung des Tätigkeitsfeldes und sorgt für eine höhere Verbindlichkeit in der Praxis: Es gibt weniger spontane Abbrüche von Begleitungen durch professionelles Agieren und durch eine gesteigerte Attraktivität der Arbeitsverhältnisse mit den Schulbegleiter*innen.