Praxisbeispiel | Modellprojekt "Konzepte für Kinder"

Modellprojekt "Konzepte für Kinder"

Begleitete Elternschaft

1. Ausgangssituation, Projektidee und Ziele

Vernachlässigung von Kindern ist eine komplexe Form von Kindeswohlgefährdung, die betroffene Kinder nachhaltig in ihrer Entwicklung schädigen kann. Die mit ihr einhergehenden und zum Teil gravierenden Störungsbilder sind dabei abhängig von Form, Schwere und Dauer der Vernachlässigung.

Während die körperliche Vernachlässigung etwa das Wachstum verzögern oder krank machen und im Extremfall (z.B. bei Säuglingen) bis zum Tod führen kann, sind die Folgen der kognitiven Form noch wenig systematisch analysiert.  Neuere Studien dokumentieren jedoch Lernbehinderungen und einen enormen Leistungsrückstand, weil sozioemotionale Grundlagen wie Interesse, Lernfreude und Ausdauer eingeschränkt sind.[1] Unerkannt und ohne rechtzeitige Intervention besteht damit die Gefahr dauerhafter Konsequenzen für die psychische Gesundheit und soziale Integration betroffener Kinder.

Vor dem Hintergrund multikausaler Problemlagen in der Lebenswelt vernachlässigter Kinder sind zwingend interdisziplinäre Handlungskonzepte in einer inklusiven Hilfelandschaft anzustreben. Dabei erfordert die Komplexität der Störungsbilder eine enge und vorbehaltsfreie Zusammenarbeit und Vernetzung der kinder- und jugendnahen professionellen Helfersysteme, die auch in vielfacher Weise fachlich gefordert wird. Dennoch steht einer gelingenden Kooperation auf der Basis einer  interdisziplinären „Fallverständigung“ eine Vielzahl von Hindernissen im Wege.

Das Projekt verfolgt die These, dass die optimale Nutzung vorhandener Angebote nur gelingen kann, wenn die verantwortlichen Fachkräfte der bestehenden Hilfesysteme Kompetenzen zur Kooperation und Flexibilität mitbringen oder erlernen und ihnen die entsprechenden Strukturen zur Verfügung stehen. Komplexe Folgeschäden bei vernachlässigten Kindern können nur durch multiprofessionelle Konzepte vermieden werden. Dies setzt die Kooperationsbereitschaft und die organisatorische Kooperationsfähigkeit der begleitenden Hilfesysteme voraus.

Es soll erreicht werden, dass die professionellen Begleiter von Familien mit einer Vernachlässigungsproblematik optimal zusammenarbeiten und sich in ihren Sichtweisen auf die Familie ergänzen. Ärzte, Therapeuten, Erziehungseinrichtungen wie Schule und Kindergarten, Jugendämter und andere Institutionen sollen in kollegialer Beratung gemeinsam mit den Betroffenen herausfinden, welche Hilfe für ein Kind und seine Familie die „richtige“ ist.

2. Initiative, Planung und Konzeption

Das Lebenszentrum Königsborn GgmbH hat auf Grundlage des interdisziplinären Erfahrungswissen seiner Fachkräfte das Problem mangelnder Zusammenarbeit über das eigene System hinaus aufgenommen und, gefördert von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, das Modellprojekt „Konzepte für Kinder - Systemübergreifende Fallbearbeitung bei Kindesvernachlässigung‘“ entwickelt.

Für das Modellprojekt „Konzepte für Kinder“ und die Idee der interdisziplinäre Fallverständigung ist das sozialpädiatrisches Verständnis grundlegend, in dem die Entwicklung von Kinder und Jugendliche neben ihrer individuellen genetischen Disposition und Anlage vor allem von sozialen Kontextfaktoren und familiären psychosozialen Belastungsfaktoren geprägt ist. Diagnostik und Entwicklungsförderung erfordern also immer auch ein Verstehen der Kontexte, in dem Kinder und Jugendlichen aufwachsen und leben. Diese Kontexte sind gestaltbar.

Das im Zeitraum von August 2015 bis Juli 2018 geförderte Projekt bietet unter dem Dach eines sozialpädiatrischen Zentrums eine offene und niederschwellige Anlaufmöglichkeit für eine interdisziplinäre Verständigung und eine im Dialog zwischen verschiedenen Disziplinen der Gesundheits- und Kinder- und Jugendhilfe entwickelte Hilfeplanung. Um diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen, werden unterschiedliche Prozesse der Zusammenarbeit wie Beratungen, Begleitungen und moderierte Fallverständigungen angeboten, um inklusive Konzepte für Kinder zu entwerfen und verantwortliches und nachhaltiges Handeln zu ermöglichen.

3. Durchführung

a) Aktueller Stand

Quantitativ hat das Projekt die anfänglichen Erwartungen weit übertroffen. Insgesamt wurden 40 Mädchen und 73 Jungen, gleichmäßig verteilt über alle Altersstufen in das Projekt aufgenommen, von denen in 99 Fällen eine Beratung, in 39 Fällen eine längere Begleitung und in 30 Fällen eine Fallkonferenz mit allen Beteiligten stattgefunden hat. In qualitativer Hinsicht zeigen die ersten Ergebnisse der Evaluation, dass sich ein hohes Maß an Akzeptanz des Modellprojekts und Vertrauen in die moderierende Fachkraft entwickelt hat. Besonders hervorgehoben wurde das Engagement in die interdisziplinäre Falleinschätzung im Vorfeld der Fallkonferenz. Das Potential des Modellprojekts zeigte sich vor allem darin, dass im fachlichen Dialog konkurrierende, partikulare Interessen in kooperative Hilfeplanung mit dem konkreten Schutzkonzept als Zielvorgabe überführt werden konnten.

b) Offene und weiterführende Fragen:

  • Unterstützt und fördert unsere Entscheidung und unser Handeln die Entwicklung des Kindes? 
  • Können wir sicherstellen, dass das Kind durch unser Handeln nicht Schaden nimmt?
  • Steht das Wohl des Kindes bei unserer Entscheidung und im Handeln im Zentrum?
  • Werden unsere Entscheidung und unser Handeln der Situation des betroffenen Kindes gerecht?
  • Kann sich das Kind an unserer Entscheidung und in Bezug auf unser Handeln alters- und entwicklungsgemäß beteiligen?

4. Evaluation

Die Evaluation des Modellprojektes ‚Konzepte für Kinder‘ analysiert die interdisziplinären Fallverständigungen, indem die geführten Diskussionen aufgezeichnet und anschließend mit Methoden der qualitativen Sozialforschung ausgewertet werden. Ergänzt wird dieser Evaluationsschritt durch Interviews mit den falleinbringenden Akteur_innen. Auf diesem Weg lässt sich die interdisziplinäre Kooperation zwischen den unterschiedlichen beteiligten Professionen im Rahmen des Modellprojekts rekonstruieren und interpretieren, um so Informationen über die Bedingungen einer gelingenden Zusammenarbeit offenzulegen. Im Rahmen der Evaluation erfolgt zudem eine quantitative Auswertung der eingegangenen Beratungsanfragen. Aufbereitete Ergebnisse werden zur Veröffentlichung verschriftlicht und stehen somit dem Fachdiskurs zur Verfügung.


[1] (vgl. zusammenfassend Galm, Beate / Hees, Katja / Kindler, Heinz, Kindesvernachlässigung – verstehen, erkennen, helfen. 2010)

 

Britta Discher

Lebenszentrum Königsborn, GgmbH

Projektleitung

Zimmerplatz 1, 59425 Unna

Telefon: 02303-9670248

E-Mail: b.discher@konzepte-fuer-kinder.de

Koch, M., Discher, B. & Wazlawik, M. (2017): „Konzepte für Kinder“ – Systemübergreifende Fallbearbeitung bei Kindesvernachlässigung. In: Soziale Passagen (254) Im Erscheinen. https://www.lebenszentrum-koenigsborn.de/projekte/konzepte-fuer-kinder/ Discher, B./ Schimke, H.-J., Kinderrechte und Kinderschutz als Elemente einer nachhaltigen Strategie der Kommune, in: Heinrichs/Kirst/Plawitzki (HG.), Gutes Leben vor Ort, ESV Verlag, Berlin, 2017

Das Projekt erarbeitet erstmals Kriterien, Standards und Bedingung gelingender interdisziplinärer Kooperation an dem Themenfeld der Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen. Es kann vor allem vor dem Hintergrund der sich verändernden Gesetzeslage und der Notwendigkeit, inklusiven Handelns ein Beispiel für gelingende Kooperation werden.

Region
Kreis Unna
Bundesland
Nordrhein-Westfalen
Laufzeit
07.2018
Stand der Informationen
25.04.2023