Praxisbeispiel | BeSt - Beraten & Stärken: Bundesweites Modellprojekt zum Schutz von Mädchen und Jungen mit Behinderung vor sexualisierter Gewalt in Institutionen

BeSt - Beraten & Stärken: Bundesweites Modellprojekt zum Schutz von Mädchen und Jungen mit Behinderung vor sexualisierter Gewalt in Institutionen

Schutz

Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen sind – im Vergleich zur übrigen Bevölkerung – in deutlich stärkerem Maße Gewalt (physisch, psychisch, strukturell und in Form von Vernachlässigung) ausgesetzt. Viele Einrichtungen der Eingliederungshilfe haben nach wie vor einen deutlichen Entwicklungsbedarf im Bereich Schutz vor Gewalt.

Im Projekt wurden daher in bundesweit 81 Einrichtungen, in denen Mädchen und Jungen mit Behinderung leben, lernen oder betreut werden von 2015 bis 2020 modellhaft Schutzkonzepte (weiter-)entwickelt und implementiert.

Durchgeführt wird das Modellprojekt in Kooperation zwischen der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierte Gewalt e.V. (DGfPI e.V.) und bundesweit 10 Fachstellen mit den Arbeitsschwerpunkten sexualisierte Gewalt und Behindertenhilfe. Begleitet wird das Projekt durch einen wissenschaftlichen Beirat. Das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen Freiburg (SoFFI.F) führt eine Begleitforschung und die Evaluation durch.

Gefördert wird das Projekt vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ).

In den 81 Einrichtungen wurden drei zentrale Maßnahmen durchgeführt:

  • Implementierung/Optimierung von Schutzkonzepten auf Grundlage der 2011 vom Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ veröffentlichten Leitlinien,
  • Sensibilisierung und Qualifizierung von Leitungskräften und MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen zum Thema sexualisierte Gewalt,
  • Durchführung und Implementierung des im Projekt entwickelten Bildungs- und Präventionsprogrammes "Was tun gegen sexuellen Missbrauch? Ben und Stella wissen Bescheid!" für dort lebende Mädchen und Jungen.

Implementierung von Schutzkonzepten als längerfristiger Organisationsentwicklungsprozess

Um Schutzkonzepte nachhaltig in Einrichtungen zu implementieren, bedarf es grundlegender Entwicklungs- und Lernprozesse auf der Ebene der Organisationskultur. Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit und Grenzachtung bedarf langfristiger gemeinsamer Lernprozesse von Teams und Organisationen. Leitungskräfte haben hierbei eine Schlüsselrolle und müssen Verantwortung für die Prozesse übernehmen. Die Auseinandersetzung mit den Kernthemen Macht, Gewalt und Sexualität in den Fokus zu nehmen, ist ein Schlüsselkriterium für das Gelingen der Entwicklungsprozesse. Die strukturellen und personellen Gegebenheiten, vorhandene Schutz- und Risikofaktoren in Einrichtungen sind so unterschiedlich, dass Schutzkonzepte einrichtungsspezifisch (weiter-) entwickelt und implementiert werden müssen. Für diese Reflexions- und Diskussionsprozesse brauchen Leitungskräfte und MitarbeiterInnen Zeit und Raum. Diese notwendigen Ressourcen stehen jedoch oft nicht zur Verfügung.

Modelle zur Organisationsentwicklung:

Bildungs- und Präventionskonzeptes "Was tun gegen sexuellen Missbrauch? Ben und Stella wissen Bescheid"

Das Konzept richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 8 - 18 Jahre mit einer geistigen Behinderung sowie einer möglichen zusätzlichen Körper- und/oder Hörbehinderung. Es umfasst ein 6-tägiges Präventions- und Bildungsprogramm, Materialien und eine Homepage für Kinder, Jugendliche, Eltern, Sorgeberechtigte und pädagogische/therapeutische Fachkräfte. Bisher haben bundesweit über 750 Mädchen und Jungen am Programm teilgenommen und mit ihren Ideen, Fragen und Anmerkungen zur Gestaltung des Programmes beigetragen.

Resümee

Im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention und eines umfassenden Verständnisses von Inklusion haben alle Mädchen und Jungen ein Recht auf Schutz vor Gewalt. Daher kann es nicht sein, dass sich die rechtlichen Vorgaben zu Schutzkonzepten für Einrichtungen der Kinder-, und Jugendhilfe von denen für Einrichtungen der Behindertenhilfe nach wie vor deutlich unterscheiden.

Es bedarf klarer rechtlicher, weitergehender Vorgaben zu Schutzkonzepten in allen Einrichtungen in denen Mädchen und Jungen leben, als Voraussetzungen für Betriebserlaubnisse, und eine fachlich qualifizierte, regelmäßige Überprüfung. Wenn von Einrichtungen die nachhaltige Implementierung von Schutzkonzepten gefordert wird, müssen diesen auch die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Nach wie vor gibt es bundesweit zu wenig Beratungs- oder Anlaufstellen für Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigung und deren Sorgeberechtigte.

Evaluation:

Das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen (SoFFI.F) führt eine Begleitforschung und die Evaluation durch. Die Ergebnisse werden 2020 veröffentlicht.

Übersicht der Forschungs- und Evaluationsbausteine:

I Qualitative Evaluation

  • Interviews mit Mädchen und Jungen
  • Fokusgruppen mit Fachkräften der Fachstellen
  • Fokusgruppen mit Fachkräften der Einrichtungen
  • Interviews mit Leitungskräften der Einrichtungen

II Quantitative Evaluation

  • Auswertung der Vor- und Abschlussbefragungen in Einrichtungen von über 1000 Leitungskräften und MitarbeiterInnen
  • Auswertung der Abschlussbefragungen der Qualifizierung zur Durchführung des Präventionsprogrammes

Weitere Informationen:

zur DGfPI e.V. unter: www.dgfpi.de


zum Modellprojekt BeSt Beraten und Stärken unter:

dgfpi.de/index.php/kinderschutz/best-beraten-staerken.html

zur Abschlussveröffentlichung des Modellprojektes BuFo Bundesweite Fortbildungsoffensive 2010-2014: 
Handlungsempfehlungen zur Implementierung von Schutzkonzepten in Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe. Erfahrungen und Ergebnisse der Bundesweiten Fortbildungsoffensive 2010-2014 unter:

dgfpi.de/index.php/kinderschutz/bufo-bundesweite- fortbildungsoffensive/bufo-abschlussbericht.html

Homepage für Mädchen und Jungen unter: http://www.benundstella.de

Deutsche Gesellschaft für Intervention und Prävention bei Kindesmisshandlung, - vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e.V., Düsseldorf
Sternstraße 9 -11
40479 Düsseldorf

Die Erfahrungen und Ergebnisse werden 2020 wie folgt veröffentlicht und präsentiert:

  • Bundesweiter Fachtag der DGfPI am 7.5.2020 in Hannover
  • Abschlussbericht zum Modellprojekt
  • Handbuch "Organisationsentwicklung zur Implementierung von Schutzkonzepten in Einrichtungen in denen Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigungen leben, lernen oder betreut werden"
  • Evaluations- und Forschungsberichte des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen Freiburg.
  • Bildungs- und Präventionsprogramm „Was tun gegen sexuellen Missbrauch? Ben und Stella wissen Bescheid!“
    • 6 tägiges Präventionsprogramm „Ben und Stella wissen Bescheid!“
    • Qualifizierungen von Fachkräften zur Durchführung des Präventionsprogramms
    • Präventionsmaterialien für Kinder, Jugendliche, Eltern, Sorgeberechtigt, sowie pädagogische und therapeutische Fachkräfte
    • Homepage für Mädchen und Jungen

Bernd Eberhardt und Annegret Naasner, DGfPI e.V. Dezember 2019

Viele Einrichtungen der Eingliederungshilfe haben nach wie vor einen deutlichen Entwicklungsbedarf im Bereich Schutz vor Gewalt. Diese benötigen konkrete handlungspraktische Empfehlungen wie die nötigen Organisationsentwicklungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen der Behindertenhilfe konzipiert und durchgeführt werden können. Dies möchte das Modellprojekt Verbänden, Trägern und Einrichtungen der Behindertenhilfe zur Verfügung stellen.

Weiterhin liegen derzeit bundesweit nur wenige umfassende Bildungs- und Präventionskonzepte für die Arbeit mit Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigungen vor. Hier möchte das Modellprojekt pädagogischen, therapeutischen Fachkräften, Eltern und Sorgeberechtigten konkrete Materialien zur Verfügung stellen.

Das Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass das Thema sexueller Missbrauch in einem eigenen Programmbaustein, in Flyern und einer Homepage deutlich benannt und erklärt wird.

Internationale Anerkennung des Modellprojektes  
Das Modellprojekt wird im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur UN-Behindertenrechtskonvention als Maßnahme zur Umsetzung des Art. 7 und 16 der UN-Behindertenrechtskonvention genannt und im Bericht der EUROPEAN UNION AGENCY FOR FUNDAMENT RIGHTS als bedeutsames deutsches Modellprojekt gewürdigt.  
 

Region
Bundesweit
Bundesland
Bundesweit
Laufzeit
12.2019
Stand der Informationen
12.04.2023