Begleitete Elternschaft
Die begleitete Elternschaft stellt im Zusammenhang mit der Suche nach einer Großen Lösung ein Spezialthema dar, da es um Eltern mit Behinderung geht und nicht um Kinder mit Behinderung. Bei Bethel in Bielefeld gibt es, neben einer stationären Einrichtung für behinderte Eltern mit Kindern im Sozialraum, eine Clearingeinrichtung, in der behinderte Eltern mit Kindern ab der Geburt z. B. für sechs bis neun Monate bleiben können um zu klären, mit welchem Unterstützungssetting die Eltern (oder ein Elternteil) mit ihrem Kind (oder ihren Kindern) zusammenleben können und das Wohl des Kindes im Blick ist. Der Fokus liegt darauf, langfristig eine gute Lösung für die Familie zu finden.
Wie wird der Bedarf identifiziert/angemeldet?
In der Regel kommt das Jugendamt auf die Einrichtung zu und teilt mit, dass es auf unterschiedlichen Wegen erfahren hat, dass es eine Beeinträchtigung oder Behinderung in einer Familie oder bei der Mutter gibt, und unklar ist, ob das Kind in der Familie (oder bei einem Elternteil) verbleiben kann. Ebenso kommt es vor, dass der Unterstützungsbedarf für eine angestrebte Rückführung geprüft werden soll.
Wer informiert den Leistungsträger? Welche Systeme/Professionen werden einbezogen?
Es gibt Vereinbarungen mit dem Jugendamt, als auch mit der Eingliederungshilfe. Der Initiator ist in der Regel das Jugendamt, das in den allermeisten Fällen auch Leistungsträger für das Kind bleibt und dann wird durch Bethel der Träger der Eingliederungshilfe ins Boot geholt. In anderen Jugendämtern hingegen bleibt das in der Hand des Jugendamtes und der Träger der Eingliederungshilfe wird hinzugeholt. Im Rahmen des Clearings werden sehr unterschiedliche Systeme einbezogen. Neben den beiden Leistungsträger die umfassend an der Hilfeplanung beteiligt sind auch Ärzte, Kinderkrankenschwestern, Heilpädagoginnen, Psychologinen, Erzieherinnen und ggf. auch Juristen, die einen Fokus auf das Wohl des Kindes und das Recht der Eltern auf ein Familienleben haben.
Wer entscheidet, ob eine Beeinträchtigung vorliegt und ob eine Leistung bewilligt wird?
Wenn das Jugendamt von einem Bedarf ausgeht, wird in der Clearingeinrichtung überlegt, welche Art von Unterstützung diese Familie braucht und ob es möglich ist, dass das Kind in der Familie bleibt. Manchmal sagen auch die Eltern selbst, dass sie mit dem Kind überfordert sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, was nach dem Clearing erfolgt, entweder der (vorübergehende) Einzug in eine Eltern-Kind-Einrichtung oder Gastfamilie, alternativ eine ambulante Betreuung, die Trennung oder die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie. Ein gemeinsamer Prozess im Hilfeplanverfahren ist für die Entscheidung unverzichtbar, so könnten sich bspw. Jugendhilfe und Eingliederungshilfe auf ein einheitliches Hilfeplanverfahren einigen und auch die Refinanzierung der Leistung klären.
Welche Organisationsanbindung liegt vor? Es sind beide Systeme eingebunden und es muss zukünftig beachtet werden, welche Auswirkungen das Bundesteilhabegesetz für Erwachsene hat, wenn eine Trennung von Leistung und Wohnen erfolgt.
Weitere Erläuterungen: Der überwiegende Teil der betroffenen Eltern hat intellektuelle Beeinträchtigungen. Es werden aber auch Eltern mit psychischen Erkrankungen betreut und solche mit körperlichen Einschränkungen, weil/wenn die Einrichtung barrierefrei ist. Der Fokus liegt auf dem Personenkreis der Menschen, die eine kognitive Einschränkung haben, vor allem weil diese Personengruppe ein differenziertes Clearing braucht, um den Bedarf genau zu beschreiben. Bei körperlichen Behinderungen hingegen kann es passieren, dass das Jugendamt vor Ort mit der werdenden Mutter bespricht, was sie braucht, und das dann direkt gestaltet. Dies klingt recht harmonisch und nicht nach einem Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle. Es gibt jedoch auch Menschen mit Beeinträchtigung, die ihr Recht auf Elternschaft einfordern und das nicht sofort mit einem Unterstützungsbedarf verbinden. In der Praxis spielt der Kontrollfaktor im Rahmen des Clearings eine große Rolle. Teilweise ziehen die Eltern schon vor der Geburt in eine Einrichtung ein und ab da wird „beobachtet“, wie die Eltern mit Krisensituationen umgehen können. Die Eltern wohnen mit dem Kind in einem eigenen Appartement, zum Kinderzimmer gibt es jedoch noch einen separaten Zugang von außen für die Mitarbeiter/innen bzw. um notfalls auch die Tür zu den Eltern zuzumachen.
In diesem Kontext stellen sich natürlich Fragen. Dies verdeutlicht das Beispiel einer psychisch erkrankten Frau, die Hilfe angenommen und das als Unterstützung erlebt hat, sich gleichzeitig aber auch nach eigener Aussage in einem Zwiespalt befindet, weil sie das Gefühl hat, eine bessere Mutter sein zu müssen als der Rest der Welt. Sie wurde in einer Art und Weise begleitet, betreut und überwacht, die Konflikte in der Elternschaft fast nicht zulässt. Die daraus folgende Frage ist, welchen Anspruch die professionellen Helfer an Menschen mit Beeinträchtigungen als Eltern stellen. An diesem Beispiel potenziert sich das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle. Die Einschätzung hierzu fällt durchaus unterschiedlich aus. Auch deshalb war es wichtig, diese Clearingeinrichtung ins Leben zu rufen und betroffenen Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass es nicht darum geht sie zu prüfen, sondern dass es herausgefunden werden soll, welchen Anspruch auf Unterstützung sie haben, damit es ihnen leichter fällt, ihr Kind zu betreuen. Wie geht das? Die Fachkräfte aus der Behindertenhilfe haben über einen langen Aushandlungsprozess erreicht, dass das besondere Setting der Familie Bestandteil der Hilfeplanung ist. Das Jugendamt kümmert sich nicht ausschließlich um das Kind und das Kindeswohl, sondern denkt die ganze Familie mit. Dies macht es dem überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe leichter mitzutragen, was gemeinsam in diesem Prozess festgelegt wurde. Nicht die Einrichtung sagt, was sie für den Teil der Eingliederung braucht, sondern das passiert gemeinsam im Gesamtverfahren. Im Jugendamt Bielefeld wurde dazu ein Schwerpunktbereich „Mutter-Vater-Kind-Betreuung“ gebildet - mit einer geringeren Fallzahldichte, damit z. B. Kontakte und Hilfeplangespräche häufiger als z. B. in einer halbjährlichen Regelzeit stattfinden können, wenn dies erforderlich ist. Hintergrund hierfür war die über Fallauswertungen erlangte Erkenntnis, dass es eine Diagnose sowie eine daraus folgende intensivere Zusammenarbeit bei der Hilfeplanung mit dem Träger und den Familien geben sollte.
Um auf die körperlich beeinträchtigten Eltern zurückzukommen: Der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien hat sowohl mit der Jugendhilfe (HzE) als auch im Kontext von Familie bei Familienverbänden Erfahrung. Häufig haben es körperlich behinderte Eltern viel schwerer, passende Hilfen zu bekommen. Aber auch diese Eltern haben Unterstützungsbedarf, nicht nur um Kindeswohlgefährdung auszuschließen, weil sie kognitiv oder psychisch beeinträchtigt sind. Die Wahrnehmung, welche Hilfe und Unterstützung körperlich behinderte oder sinnesorganbeeinträchtigte Eltern brauchen, ist bisher noch völlig unzureichend. Bisher geschieht dies eher aus der Sicht der Eingliederungshilfe. Zukünftig allerdings dürften Eltern mit Sinneseinschränkungen oder körperlichen Einschränkungen diesbezüglich keine Probleme mehr haben, Hilfen zu bekommen, weil das Bundesteilhabegesetz ausdrücklich Assistenzleistungen für Eltern vorsieht und die rechtliche Grundlage und der Leistungsbereich definiert sind.
Petra Thöne
v. Bodelschwinghsche Stiftung Bethel
Stiftungsbereich Bethel.regional -Region Junge Menschen Bielefeld
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