Instrumente sind auf wissenschaftlichen Standards aufbauende Hilfsmittel, z.B. Fragebögen oder Checklisten, auf deren Grundlage der Bedarf eines (jungen) Menschen an Hilfen/Teilhabeleistungen im Zuge des verwaltungsrechtlich normierten Verfahrens der Bedarfsermittlung festgestellt wird.
Die Rehabilitationsträger und damit auch die öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe (bislang mit Blick auf Kinder und Jugendlichen mit einer sog. (drohenden) seelischen Behinderung, § 35a SGB VIII) verwenden die Instrumente, die nach dem für sie geltenden Leistungsgesetz vorgesehenen sind. Die eingesetzten Instrumente gewährleisten insbesondere die Feststellung einer Behinderung oder einer drohenden Behinderung, die Auswirkungen auf die Teilhabe, die Ziele, die mit den Leistungen erreicht werden sollen und welche Leistungen geeignet sind, die Ziele prognostisch zu erreichen. Eine ICF-Orientierung der eingesetzten Instrumente zur Erstellung des Teilhabeplans ist gesetzlich nicht gefordert. Der zweistufige Behinderungsbegriff (§ 2 SGB IX, seelische, körperliche, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren) legt jedoch eine ICF-Orientierung für alle Rehabilitationsträger nahe.
Momentan wird in den einzelnen Bundesländern an der Entwicklung ICF-basierter und praxistauglicher Instrumente zur Bedarfsermittlung im Zuständigkeitsbereich der Eingliederungshilfe gearbeitet. Der Entwicklungsstand bildet bislang noch ein sehr breites Spektrum ab; auch sind die wenigen bereits auf Landesebene vorhandenen Instrumente längst nicht überall an die Praxis der Kommunalverwaltung angepasst bzw. entsprechend weiterentwickelt worden.
In Fachkreisen diskutiert wurden zuletzt Fragen, die auf die Möglichkeiten und Grenzen von standardisierten Instrumenten zur Bedarfsermittlung gegenüber eher lebensweltorientierten, systemischen Perspektiven (etwa: sozialpädagogische Diagnostik) abzielen. Aus dem Feld der Kinder- und Jugendhilfe wurde etwa die Sorge eingebracht, die lebensweltorientierte Perspektive aus der Hilfeplanung nach §36 SGB VIII aufgrund der Notwendigkeit, standardisierte Instrumente nutzen zu müssen, gänzlich zu verlieren und entsprechend nicht mehr angemessen die heterogenen Bedarfslagen von Kindern und Jugendlichen erfassen zu können. Dem kann entgegen gehalten werden, dass Instrumente als eine Steuerungsinstanz von Hilfesystemen immer auch die Möglichkeit bereithalten müssen, spezifische Bedarfe zu erfassen, was letztlich bedeutet: Eine durchgehende Standardisierung von Instrumenten zur Bedarfsermittlung muss im Reich der Utopie gebannt bleiben. Entsprechend ist die ICF bzw. die ICF-CY lediglich als Basis für die Erfassung von Bedarfen geeignet; es handelt sich aber weder um ein Diagnose- noch ein Assessmentinstrument. Vielmehr muss die Bedarfsermittlung mittels ICF- basierter Instrumente durch weitere disziplinenspezifische Verfahren zur Informationsgewinnung (Gutachten etc.) ergänzt werden (s. ICF). Außerdem ist auch in anderen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe der Einsatz standardisierter Instrumente – bspw. zur Gefährdungseinschätzung im Kinderschutz – bereits seit langer Zeit gängige Praxis.
Wesentliche Herausforderungen bei der Entwicklung von Instrumenten für die Bedarfsermittlung liegen in den Bereichen Beteiligung und Barrierefreiheit: Um antragstellende Personen angemessen an der Bedarfsermittlung und den anschließenden Hilfeplanungen zu beteiligen, braucht es bspw. Kommunikationshilfen bzw. Übersetzungen in leichte Sprache etc. Nicht zuletzt stehen in diesem Zusammenhang auch immer Fragen danach, was eigentlich alles mittels eines Instruments erfasst werden kann und ggf. auch darf oder erfasst werden sollte (s. Bedarf). Wo es auf der einen Seite also eher um konkrete Gestaltungsfragen, nicht nur bezüglich der Erfassung, sondern vor allem auch bezüglich der Interpretation der erhobenen Daten geht, stehen auf der anderen Seite Vertreter*innen, die dem Entwicklungsschub zur Erstellung neuer Instrumente auch Positives abgewinnen können: Im Bereich von Leistungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen mangele es nämlich grundsätzlich an Instrumenten zur Bedarfsermittlung, wie Teilnehmende auf unseren Expertengesprächen berichteten (vgl. Dokumentation des 7. Expertengesprächs ICF - die Sprache der Inklusion? Anwendungsmöglichkeiten + Praxisbeispiele + Schlussfolgerungen am 27.09.2018 in Berlin).
Eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben, die ein angemessenes Verhältnis zwischen Regelungsvorgaben und Ausgestaltungsspielräumen für eine situative individuelle Hilfeplanung wahrt, ist wünschenswert, um ein integriertes Hilfeplanverfahren für alle Kinder und Jugendliche zu gestalten. Ein weiterentwickeltes, integriertes Hilfeplanverfahren erhöht die Wahrscheinlichkeit für fachlich qualifiziertes Handeln und kann vor fachfremdem Entscheidungseinflüssen schützen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) und in enger Kooperation mit sechs Jugendämtern ein onlinebasiertes Instrument zur Einschätzung von Teilhabebeeinträchtigungen nach § 35a SGB VIII entwickelt.
Siehe: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm (Hrsg.) (2019) Broschüre Teilhabebeeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) seelischer Behinderung erkennen. Rechtliche Anforderungen an die Einschätzung nach Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz und Vorstellung eines darauf abgestimmten Instruments für die Jugendhilfe.
Gahleitner, Silke Birgitta: Diagnostisches Fallverstehen in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Unsere Jugend, München: E. Reinhardt; 70 (2018); Nr. 4, S. 146-154.
Klebba, Sigrid: Inklusive Kinder- und Jugendhilfe: die „Berliner Lösung“. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1/2018, S. 78-82.
Winkler, Katharina: Methoden der Hilfeplangestaltung im Rahmen des HMB-W-Verfahrens. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Berlin: Selbstverlag; 99 (2019); Nr. 1, S. 13-18.
Eilers, Friedericke: Sind die Jugendämter „fit“ für § 13 SGB IX? Wichtiges von B.E.Ni. - ein selbst entwickeltes ICF-basiertes Bedarfsermittlungsinstrument der Eingliederungshilfe in Niedersachsen. Vortrag im Rahmen des 7. Expertengespräches des Dialogforums „Bund trifft kommunale Praxis“ am 27.09.2018 in Berlin